Pilotprojekt gegen Mistelbefall: Freiwillige retten Streuobstwiesen
Im Schwäbischen Streuobstparadies eutlingen beginnt ein neuartiges Umweltprojekt: Ehrenamtliche Helfer sollen Misteln von Bäumen schneiden - auch auf privaten Grundstücken. Ziel ist es, die Ausbreitung des Parasiten einzudämmen und alte Streuobstbestände zu schützen. Die Zustimmung der Grundstücksbesitzer ist dabei nicht erforderlich.
Misteln: Vom keltischen Symbol zur ökologischen Bedrohung
Die Mistel, einst von den Kelten als heilige Pflanze verehrt und heute fester Bestandteil vieler Weihnachtstraditionen, hat sich im Südwesten Deutschlands zu einem Problemfall entwickelt. Durch die Klimaerwärmung und mangelnde Pflege breitet sich der Halbschmarotzer stark aus. Er entzieht den Obstbäumen Wasser und Nährstoffe – und gefährdet damit die Ernte.
„Viele dieser Streuobstflächen befinden sich in privater Hand und es ist natürlich so, dass in den letzten Jahren die Pflege der Streuobstwiesen nachgelassen hat und dementsprechend stehen wir vor großen Problemen", erklärt Reutlingens Baubürgermeisterin Angela Weiskopf.
Ungepflegte Flächen als Mistel-Hotspots
Wer seine Streuobstwiese nicht regelmäßig pflegt, riskiert eine unkontrollierte Ausbreitung der Mistel – auch auf benachbarte Flächen. Da sich der Streuobstanbau für viele kaum noch lohnt, werden zahlreiche Grundstücke vernachlässigt. Damit eine Bekämpfung erfolgreich ist, müssen daher auch private Flächen einbezogen werden.
„Der Anstoß für dieses Projekt, die Misteln zu entfernen, ging aus vom schwäbischen Streuobstparadies", so Weiskopf weiter. „Wir haben auch mit diesem Streuobstparadies Kontakt aufgenommen und nachgefragt beim Bundesministerium, ob es eine Möglichkeit gibt, eben gerade auch auf privaten Grundstücken diese Misteln zu entfernen."
Rechtliche Grundlage: Paragraph 26 Landwirtschafts- und Kulturgesetz
Nach Abstimmung zwischen Stadt, Umweltministerium und dem Schwäbischen Streuobstparadies wurde das Projekt auf den Weg gebracht. Grundlage ist § 26 des Landwirtschafts- und Kulturgesetzes.
„Ja, wir dürfen das, wenn es so ist, dass eine rechtliche Pflicht verletzt wurde", erläutert Jasmin Berger vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft. „Paragraph 26, Landwirtschafts- und Kulturgesetz. Da steht drin, wer ein landwirtschaftliches Grundstück hat, und ein Streuobstgrundstück ist ein landwirtschaftliches Grundstück, der muss es so bewirtschaften oder zumindest pflegen, dass von diesen Grundstück keine Gefahr für andere Grundstücke ausgeht."
Da Misteln andere Bäume infizieren können, gelten sie als Gefahr im Sinne des Gesetzes. Daher sollen Freiwillige mit Teleskopsägen auf die betroffenen Flächen gehen und die befallenen Äste entfernen.
Kontroverse: Einsatz öffentlicher Gelder für private Flächen
„Es steht natürlich der Vorwurf im Raum: Jetzt tun wir hier mit öffentlichen Geldern denjenigen die Bäume pflegen, die sich seit Jahren oder vielleicht auch Jahrzehnten nicht kümmern", meint Maria Schropp. „Weil sie nicht mehr können, weil sie nicht mehr hier wohnen, weil sie gar nicht wissen, dass sie eine Streuobstwiese haben, warum auch immer. Das ist natürlich die Kritik die im Raum steht, die auch nachvollziehbar und verständlich ist."
Die Projektverantwortlichen entgegnen, dass akuter Handlungsbedarf besteht: Eine unkontrollierte Vermehrung der Misteln würde langfristig ganze Streuobstlandschaften gefährden.
Ersatzvornahme als unpraktische Alternative
Theoretisch könnten Behörden Eigentümer, die ihrer Pflicht nicht nachkommen, mit einer sogenannten Ersatzvornahme belangen – also eine Reinigung auf deren Kosten durchführen. Doch in der Praxis ist das kaum umsetzbar.
„Und das ist natürlich nicht praktikabel", so Berger. „Das ist erstens nicht praktikabel, weil wir eben die Stücklesbesitzenden nicht mehr auftreiben können, und einfach weil, so soll staatliches Handeln nicht sein. Was kommt dann nachher bei rüber, wenn wir 86-jährigen Damen einen Bescheid schicken mit 'Hier zahl mal bitte 3000 Euro.'"
Ein solches Vorgehen wäre weder sozial noch politisch tragbar. Stattdessen setzt man auf Freiwillige und bürgerschaftliches Engagement – als pragmatische Lösung gegen ein wachsendes Umweltproblem.
Wissenswertes zur Mistel
Die Mistel (Viscum album) ist ein immergrüner Halbschmarotzer, der vor allem auf Laubbäumen wie Apfel, Pappel oder Ahorn wächst. Über spezielle Saugwurzeln (Haustorien) entzieht sie ihren Wirtsbäumen Wasser und Mineralstoffe, betreibt aber selbst Photosynthese. Ihre weißen Beeren sind klebrig und werden vor allem von Vögeln verbreitet – allen voran durch Drosseln, die die Samen beim Fressen auf andere Äste übertragen.
Während Misteln in der Mythologie als Symbol für Fruchtbarkeit und Unsterblichkeit gelten, stellen sie ökologisch eine zunehmende Belastung dar. Besonders in klimatisch begünstigten Regionen und auf unbewirtschafteten Flächen vermehren sie sich stark. Fachleute schätzen, dass sich der Mistelbefall in Süddeutschland in den letzten zwanzig Jahren mehr als verdoppelt hat – eine Entwicklung, die viele Streuobstbestände an ihre Grenzen bringt.
Erstveröffentlichung: 10.11.2025-19:21
Autoren: RTF.1-Redaktion & KI