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Märkisch-Oderland

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Streng geschütztes Wisent erschossen - WWF stellt Strafanzeige gegen Amtsleiter: "Das erste seit 250 Jahren"

Ein freilaufender Wisent ist in Brandenburg bei Lebus (Märkisch-Oderland) von einem Jäger erschossen worden. Die Anordnung dazu hat demWWF zufolge der Lebuser Ordnungsamtsleiter erteilt. Gegen ihn hat der WWF Deutschland jetzt Strafanzeige gestellt. "Die Abschussfreigabe eines streng geschützten Tieres ohne ein ersichtliches Gefährdungs­potential ist eine Straftat", begründet WWF-Vorstand Naturschutz Christoph Heinrich den Schritt. "Nach über 250 Jahren ist ein Wisent in Deutschland gesichtet worden und alles was dem Ordnungsamt einfällt, ist der Abschuss." Das Tier, das aussieht wie ein Büffel oder ein Bison, war aus Polen nach Deutschland gewandert. Anlass für unsere Redaktion, nicht nur diesen Vorfall zu beleuchten, sondern auch Interessantes und Wissenswertes über das Wisent zusammenzustellen.

Einst zogen Bisonherden durch Europa

Einst zogen sie in Herden durch die Wälder Europas: Die Wisente. Auch Europäische Bisons genannt. Jahrhunderte intensiver Bejagung rottete die büffelähnlichen Tiere fast aus:

Nur eine kleine Herde überlebte in einem polnischen Nationalpark. Und überstand selbst die Widrigkeiten zweier Weltkriege.

Knapp am Aussterben vorbei: 12 überlebende Tiere 

1927 wurde das letzte freilebende Wisent erschossen. Übrig blieben 12 Wisente, die in Zoos und Tiergehegen gehalten wurden. Im polnischen Białowieża-Nationalpark vermehrten sich das Wisent, auch europäischer Bison genannt, dank strenger Schutzvorschriften prächtig. Heute gibt es wieder mehrere Herden an unterschiedlichen Orten.

Auf Wanderschaft: Über die Oder nach Deutschland 

Eines der Wisente war wohl aus dem Nationalpark ausgewandert und hatte sich schon längere Zeit auf der polnischen Seite der Oder aufgehalten - und wurde von den Menschen dort sehr geschätzt. Wahrscheinlich ist das Tier dann durch die Oder geschwommen und bis nach Lebus im brandenburgischen Märkisch-Oderland gekommen.

Dort alarmierte ein besorgter Bürger am Mittwoch, 13. September, gegen 17:30 Uhr per Anruf die Polizei. Die "überzeugte sich, dass diese Angaben stimmten und versuchte zunächst einen Tierarzt und dann einen Jagdpächter zu erreichen", heißt es im Pressebericht der Polizei Brandenburg.

Bei Einbruch der Dunkelheit fiel der Beschluss zum Abschuss.

Das Ordnungsamt stufte das imposante Tier offenbar als eine Gefahr für die Bevölkerung ein.  Da Presseberichten zufolge nicht schnell genug ein Tierarzt nebst Narkosegewehr aufgetrieben werden konnte, gaben Ordnungsamt und Polizei das Wisent zum Abschuss durch zwei Jäger frei: "Zwei Jagdpächter übernahmen die Aufgabe." Die Polizei musste den Ort des Geschehens vor Schaulustigen absperren."Gemeinsam mit dem zuständigen Ordnungsamtsleiter", so die Polizei, "wurde bei Einbruch der Dunkelheit beschlossen, das Tier zum Schutz der Bevölkerung zu erlegen."

Eine Gefahr für die Bevölkerung? 

Das sieht der WWF ganz anders: "Gefahren für die öffentliche Sicherheit gehen von einem wildlebenden Wisent nicht aus", heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme der Naturschutzorganisation: "Dass das artspezifische Verhalten von Wisenten für den Menschen keine Bedrohung ist, haben sowohl in Polen als inzwischen auch in Deutschland erfolgreich durchgeführte Projekte mit wildlebenden Wisenten gezeigt."

Der WWF stellte deshalb Strafanzeige gegen den Ordnungsamtsleiter: „Die Abschussfreigabe eines streng geschützten Tieres ohne ein ersichtliches Gefährdungs­potential ist eine Straftat", begründet WWF-Vorstand Naturschutz Christoph Heinrich den Schritt. „Nach über 250 Jahren ist ein Wisent in Deutschland gesichtet worden und alles was dem Ordnungsamt einfällt, ist der Abschuss."

Die Medienberichte verdeutlichen dem WWF zufolge auch, "dass den Akteuren in der Gemeinde bekannt war, dass der Wisent zuvor in Polen gelebt hat. Durch den Grenzübertritt wird er nicht gefährlicher als zuvor und hat durch sein Verhalten augenscheinlich auch nicht einmal den Verdacht einer Gefährdung von Menschen verursacht."

Im Umgang mit Wildtieren: "Behörden sind hilflos"

„Der Abschuss ist leider auch Ausdruck der Hilflosigkeit der Behörden, wie sie mit Wildtieren umgehen sollen", so Heinrich. „Das Land Brandenburg zeigt sich im Wildtiermanagement auch bei Wolf und Elch in den letzten Jahren schon als wenig professionell. Es fehlt an fachlich geschultem Personal in der Fläche. Hier ist jetzt Herr Vogelsänger gefragt. Der Landesumweltminister muss Stellung beziehen."

Erschwerend komme hinzu, dass der Ordnungsamtsleiter eindeutig seine Kompetenzen überschritten habe. Diese liegen dem WWF zufolge "gemäß § 45 Abs. 7 Bundesnaturschutzgesetz (BNatschG) bei der nach Landesrecht für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde, also dem Ministerium."

"Die Anordnung zum Abschuss des Wisents war gem. § 44 Abs. 1 S. 1 BNatSchG i.V.m. §§ 71 Abs. 1 Nr. , § 69 Abs. 2 Nr. 1 b) BNatSchG strafbar", ordnet der WWF den Abschuss in seiner Stellungnahme rechtlich ein: "Der Wisent ist eine in den Anhängen II und IV FFH-RL verzeichnete und daher streng geschützte Art im Sinne § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatschG. Zugleich lagen die Ausnahmevoraussetzungen des § 45 Abs. 7 BNatSchG offensichtlich nicht vor."

Kleine Herden

Wisente (Bos bonasus oder Bison Bonasus) leben in gemäßigten Misch-, Nadel- und Laubwäldern. Die Urwälder von West-, Zentral- un Mitteleuropa waren bis ins frühe Mittelalter hinein ihr Lebensraum. An diesen Lebensraum hat sich das Wisent angepasst: Die Herden aus Kühen und Jungtieren umfassen gewöhnlich 12 bis 20 Tiere. Die Bullen sind Einzelgänger und suchen die Herden nur zur Bruftzeit auf.

Waldbetretungsverbot!

Dass bei der Wiedereinbürgerung und Auswilderung ausgeorbener Tierarten divergierende Interessen und komplizierte Sachverhalte aufeinandertreffen, zeigt ein Auswilderungsprojekt mit ursprünglich 8 Wisenten. Das startete vor einigen Jahren der Trägerverein "Wisentwelt Wittgenstein" bei Schmalenbach:

Waldbauern der Umgebung befürchteten große Schäden. Die Sache kam im Jahr 2014 vor Gericht. Das verhängte gegen die Wisente ein "Waldbetretungsverbot" : Der Trägerverein müsse dafür sorgen, dass die freilaufende Wisente das Waldgrundstück des klagenden Waldbauern nicht mehr betreten. Sonst drohen den Verantwortlichen 25.000 Euro Ordnungsgeld oder 6 Monate Haft.

Die Waldbauern hatten befürchtet, dass ihre Versicherungen nicht auf Dauer für die Schälschäden aufkommen, welche die Wisente an den Waldbäumen anrichten. So auch an Weihnachtsbaumkulturen der betroffenen Bauern.

Und: Sollten die Tiere als herrenlos eingestufte werden, müsse die Jagdgenossenschaft für die Schäden aufkommen. Und bei einer Einstufung nach dem Bundesnaturschutzgesetz als ausgewilderte Tiere  müssten Anträge auf Entschädigung beim Bundesumweltministerium gestellt werden. Und das sei kompliziert und aufwändig. 

Wisente sind herrenlos!

Der Rechtsstreit ging weiter. Im Mai 2017 schließlich fällt das OLG Hamm sein Urteil: Die Wisente im Rothaargebirge sind als herrenlose Tiere anzusehen. Gleichzeitig lehnte das Gericht eine allgemeingültige Entscheidung zum diesem Thema ab. Der WWF begrüßte das Urteil:

„Mit seinem Urteil hat das Gericht eine pauschale Entscheidung über die Existenzberechtigung freilebender Wisente in Deutschland abgelehnt und zugleich klargestellt, dass die Tiere als herrenlose Wildtiere einzuschätzen sind.", sagte Dr. Diana Pretzell, Leiterin Naturschutz Deutschland beim WWF: "Damit dürfen sie vorerst nicht wieder aus der freien Wildbahn entnommen werden."

"Wisent und Waldbau schließen sich nicht aus"

Das Urteil sei ein Mut machendes Signal für den Wisent in Deutschland und zugleich für andere Artenschutz-Projekte dieser Art. Die Richter seien der Einschätzung des WWF gefolgt: "Wisent und Waldbau schließen sich nicht grundsätzlich aus. Die zuständigen Naturschutzbehörden müssen zukünftig im Einzelfall prüfen, welche Maßnahmen zulässig sind um Forstschäden durch Wisente zu vermeiden. Mit dem Wisent haben wir ein Stück biologische Vielfalt zurückerhalten."Im Rothaargebirge bestehe die Chance, zu zeigen, dass der Wald als Wirtschafts- und Lebensraum zugleich dienen könne.

"Wisent und Waldbau schließen sich nicht aus", sagt Dr. Diana Pretzell Leiterin Naturschutz Deutschland vom WWF schon vor dem Verhandlungstermin vorm OLG Hamm um Deutschlands erstes und bisher einziges Wisentprojekt. 

Höchsten Respekt zollt sie dem Verein Wisent Welt e.V. sowie der Familie Sayn-Wittgenstein, auf deren Initiative seit 2013 die ersten Wisente frei in Deutschlands Wäldern umherstreifen.

Die Wisente würden zudem einen großen Rückhalt in der Bevölkerung vor Ort genießen. Das habe eine repräsentative Umfrage gezeigt, die das Meinungsforschungsinstitut forsa 2016 im Auftrag der Naturschutzorganisation WWF in vier Landkreisen des Sauerlandes durchgeführt habe: "Demnach finden es 83 Prozent der Befragten gut, dass in den Wäldern ihrer Heimatregion, dem Rothaargebirge, die einst ausgerotteten Europäischen Bisons wieder angesiedelt wurden."

Der WWF unterstütze das Projekt und freue sich über die Rückkehr des Wisents nach Deutschland. „Mit dem Wisent haben wir ein Stück biologische Vielfalt zurückerhalten. Im Rothaargebirge besteht die Chance zu zeigen, dass der Wald als Wirtschafts- und Lebensraum dienen kann", hatte Pretzell noch vor Bekanntwerden des Gerichtsurteils gesagt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, weil der OLG-Senat Revision beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe zugelassen hat.„

Weitere Projekte

Ein weiteres Projekt läuft auf einem fast 2000 Hektar großen Gelände,einem ehemaligen Truppenübungsplatz in der Döbritzer Heide, etwa 20 Kilometer westlich vor Berlin: "Der Wald ist umzäunt, aber die hiesigen 48 Wisente leben gemeinsam mit Wildpferden und Hirschen unter nahezu natürlichen Bedingungen", beschreibt der WWF das Projekt: "Sie werden auch im Winter nicht gefüttert, sondern ernähren sich von Knospen, Laub, Rinde und Gras. Die bis zu 1000 Kilo schweren Bullen rangeln sich um die Kühe und versuchen, sich im Spätsommer einen Harem von bis zu acht weiblichen Tieren zu sichern."

Ergänzter Stand: 22.09.2017 - 14:00 Uhr


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